Das Rahmenabkommen mit der EU bringt uns die Macht des Rechts statt der Macht des Stärkeren.

Der EU-Binnenmarkt ist eine Errungenschaft. Er führt zu freiem Handel, der weit über das hinausgeht, was mit Freihandelsabkommen möglich ist. Der gesamteuropäische Wohlstand ist durch diesen EU-Binnenmarkt deutlich und messbar angestiegen.

Von Luca Urgese, Parteipräsident und Nationalratskandidat


Standesinitiative im Grossen Rat
Der Grosse Rat hat am 8. Mai 2019 eine Standesinitiative der SVP gegen das EU-Rahmenabkommen behandelt. Die FDP hat diesen Antrag bekämpft, er wurde mit 66:13 Stimmen klar abgelehnt.


 

Die Schweiz hat das Potenzial dieses Binnenmarktes frühzeitig erkannt. Sie hat sich deshalb mit den Bilateralen I und II diesem Binnenmarkt angeschlossen. Bemerkenswert ist denn auch, wer im gesamten europäischen Raum am meisten von diesem gemeinsamen Binnenmarkt profitiert. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hat berechnet, wer durch die Teilnahme am Binnenmarkt die höchsten Einkommensgewinne erzielt. Es sind dies Belgien, Luxemburg und das Nicht-Mitgliedsland Schweiz! Die Schweiz als Teilnehmer am Binnenmarkt ohne EU-Mitgliedschaft gehört zu den drei Staaten, deren Bevölkerung am meisten von diesem Binnenmarkt profitiert. Unser Wohlstand in der Schweiz hängt also ganz direkt von unseren Beziehungen zur Europäischen Union ab. Ganz konkret: Hier bei uns in der Nordwestschweiz ist das durchschnittliche Jahreseinkommen gemäss der genannten Studie rund 3‘000 Euro höher, als es ohne Teilnahme am europäischen Binnenmarkt wäre!

Ein gemeinsamer Markt braucht gemeinsame Spielregeln. Die Schweiz hat das mit den Bilateralen bisher einerseits über den sogenannten autonomen Nachvollzug gelöst und andererseits über den gemeinsamen Ausschuss, in dem hunderte von Detailanpassungen besprochen und verabschiedet werden. Ein aufwändiger Weg, den die Europäische Union künftig in dieser Form nicht mehr weiterverfolgen will. Das kann man gut oder schlecht finden, ist aber die sich seit Jahren abzeichnende Entwicklung seitens der EU, den Binnenmarkt in seiner Gesamtheit möglichst einheitlich auszugestalten. Darum geht es letztendlich bei diesem Rahmenabkommen.

Fragwürdig ist hingegen, wenn die öffentliche Diskussion auf Fragen verlagert wird, die gar nicht Bestandteil des Rahmenabkommens sind. So befasste sich eine im Grossen Rat eingereichte Standesinitiative etwa zur Hälfte mit den staatlichen Beihilfen. Nur: Die staatlichen Beihilfen sind gar nicht Inhalt des Rahmenabkommens! Die Beihilfen werden, dies lässt sich im Begleitbericht nachlesen, erst bei einer allfälligen Revision des Freihandelsabkommens von 1972 ein Thema. Und zwar unabhängig vom Rahmenabkommen. Aber diese Verhandlungen müssen erst noch geführt werden. Debatten darüber erweisen sich somit als Schattenboxen.

Es wird von den Gegnern des Abkommens behauptet, unser Gesetzgeber werde ausgeschaltet, obwohl unsere demokratischen Rechte vollumfänglich erhalten bleiben. Das ist bewusste Irreführung! Wir könnten auch mit dem Rahmenabkommen zu jeder Gesetzesanpassung Nein sagen, wir könnten weiterhin frei darüber abstimmen. Wir würden uns einfach, wie es heute schon regelmässig der Fall ist, überlegen müssen, ob bei einem Nein die Alternative für die Schweiz besser ist, ob wir die Konsequenzen eines Neins tragen möchten. Abstimmungen haben halt Konsequenzen.

Wir müssen das Rahmenabkommen mit dem Status Quo vergleichen, nicht mit irgendeiner hypothetischen Idealvorlage. Und der Status Quo ist absolut unbefriedigend. Er ist unbefriedigend, weil wir im Moment völlig den Machtspielen der EU ausgeliefert sind. Wir spüren das laufend an verschiedenen grösseren und kleineren Nadelstichen wie bei der Börsenäquivalenz, der Teilnahme am Horizon-Programm und dergleichen. Warum? Weil die Macht des Stärkeren gilt. Und auch wenn wir ökonomisch stark sein mögen, die EU ist noch ein bisschen stärker. Das Rahmenabkommen bringt uns hingegen die Macht des Rechts, indem es ein geregeltes Streitbeilegungsverfahren definiert. Davon profitiert praktisch immer der Kleinere.

Ist das Rahmenabkommen perfekt? Nein, sicher nicht. Aber es ist ein klarer Fortschritt gegenüber der heutigen Zeit. Darum ist es höchste Zeit, dass der Bundesrat das Abkommen endlich dem Bundesparlament vorlegt. Dann wissen wir wenigstens, ob diese unzähligen „Ja, aber…“ in Wirklichkeit nicht doch Neins sind. Dass aber im ungeregelten Verhältnis nicht diejenigen gewinnen, die einfach zu allem Nein sagen obwohl sie der kleinere Player sind, demonstrieren uns nicht nur aktuell die Briten mit ihrem Brexit, sondern das haben wir auch selber erlebt, als unser Parlament im Jahr 2002 Nein sagte zum Fluglärm-Abkommen mit Deutschland. Das Resultat ist, dass wir seither weiterhin keine Lösung haben. Wir haben nicht nur den Spatz in der Hand erdrückt, sondern die Taube auf dem Dach hat sich auch als Hirngespinst erwiesen.

Lassen wir uns von der Tauben-Illusion nicht in die Irre führen. Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat das Rahmenabkommen an das Parlament überweist. Unser Wohlstand hängt entscheidend davon ab.