FDP Bundesrat Ignazio Cassis an der Generalversammlung der Handelskammer beider Basel. Über das Rahmenabkommen, die rote Linien und etwas Basler Fasnacht.

Er kam nicht wirklich zu spät, unser FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, aber wohl auch nur, weil er den Stau vor und um Basel wohlweislich eingeplant hatte. Nach dem Abschluss des statutarischen Teils der Generalversammlung der Handelskammer beider Basel kündigte die Präsidentin, Elisabeth Schneider-Schneiter, zwar an, dass der Bundesrat auf der Wettsteinbrücke im Stau stehe, aber fast gleichzeitig erschien er auch schon im San Francisco Saal des Kongresszentrum der Messe.

Die 750 Mitglieder und Gäste der Handelskammer mussten also nicht auf unseren Bundesrat warten und nach wenigen Sekunden gelang es Ignazio Cassis auch schon, das Publikum für sich zu gewinnen. Statt einfach ein seitenlanges staatpolitisches Referat hinter dem Rednerpult vorzulesen, ging er in freier Rede auf die anstehenden Herausforderungen mit der EU ein, erklärte auf einfache und höchst sympathische Weise, worum es beim Rahmenabkommen geht und wo die roten Linien für den Bundesrat sind.

Von Daniel Seiler, Vizepräsident

Zuerst ging Ignazio Cassis auf die Wichtigkeit der Handelsbeziehungen der Schweiz mit der EU ein. Täglich werden Waren im Wert von einer Milliarde ausgetauscht. Dass dieser intensive Warenhandel und damit der Marktzugang gewisse Regeln und einen Rahmen braucht, ist nachvollziehbar.

Die meisten bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU sind Marktzugangsabkommen, die den freien Handel zwischen der Schweiz und den Ländern der EU erleichtern. Das übergeordnete Ziel des Bundesrats für das zukünftige Verhältnis mit der EU ist, die bestmögliche wirtschaftliche Integration bei grösstmöglicher politischer Unabhängigkeit zu erreichen.

Die rechtlichen Beziehungen der Schweiz mit der EU sind jetzt dann bald 50 Jahre alt und werden mit 120 Abkommen geregelt. Weil fast alle davon statisch sind, das europäische Recht sich jedoch stetig weiterentwickelt, werden die Regulierungsunterschiede immer grösser. Die Abkommen müssen deshalb der Zeit angepasst werden, damit sie ihre Wirkung nicht verlieren. Dazu braucht es einen einfachen Mechanismus.

Das Instrument für eine einfache, homogene und wirksame Umsetzung der bestehenden und künftigen sektoriellen Marktzugangsabkommen ist ein Rahmenabkommen. Ein Verfahrensabkommen, welches den Zugang zum EU-Binnenmarkt sichert und für das Öl im Getriebe sorgt. Das Rahmenabkommen soll die Rechtsentwicklung, die Überwachung, die Rechtsauslegung sowie eine allfällige Streitbeilegung regeln.

Das Rahmenabkommen soll die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU besser regeln, insbesondere für den Fall von Streitigkeiten. Die Wirtschaftsakteure könnten ihre Rechte bei den zuständigen nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden besser durchzusetzen. Das Abkommen verschafft den Wirtschaftsakteuren mehr Rechtssicherheit und Berechenbarkeit bei den Regeln auf dem Hoheitsgebiet der Parteien. Gleichzeitig sollen die direktdemokratischen Mitwirkungsrechte in der Schweiz bewahrt bleiben.

Nachdem Bundesrat Cassis die Notwendigkeit eines Rahmenabkommens erklärte, ging er auf die offenen Fragen ein. Noch unklar sei, welche Institution bei allfälligen Streitigkeiten als Schiedsgericht angerufen werden kann. Er betonte, dass weder die Schweiz noch die EU fremde Richter akzeptieren würden. In der Frage des Schiedsgerichts müsse also noch eine für alle akzeptable Lösung gefunden werden.

Aus Sicht des Bundesrats gibt es in den Verhandlungen eine rote Line für folgende Fragen: 

  • FLANKIERENDE MASSNAHMEN zur Personenfreizügigkeit: Massnahmen zum Schutz der Schweizer Arbeitnehmenden vor Dumping bezüglich Lohn und Arbeitsbedingungen (z.B. achttägige Meldepflicht, Kaution)
  • FREIZÜGIGKEITSRICHTLINIE: Keine Übernahme der Richtlinie (z.B. beschränkter Zugang zur Sozialhilfe)
  • Bestimmte Aspekte zur Koordinierung der SOZIALVERSICHERUNGSSYSTEME (keine Ausdehnung der Sozialversicherungsleistungen)

Auch wenn ich natürlich als FDP Mitglied nicht ganz unparteiisch bin, behaupte ich einmal, dass unser Bundesrat Ignazio Cassis in seinem Referat sehr authentisch und glaubwürdig aufzeigen konnte, wo aktuell die Herausforderungen in der Europapolitik sind, was die offenen Fragen sind und dass es wohl einen Kompromiss braucht, um vorwärts zu kommen.  

Der Bundesrat fügte an, dass es zeitlich jetzt ein „Window of Opportunity“, gebe, nachher der Brexit und in der Schweiz die Parlamentswahlen kommen. Er meinte, dass Misserfolge immer möglich seien, aber der grösste Misserfolg darin bestehe, es gar nicht erst zu versuchen.

Er schloss sein Referat mit «Yystoo, vorwärts, marsch!»

Zur Präsentation
 

PS: An der Delegiertenversammlung der FDP in Airolo vom 23. Juni 2018 wurde ebenfalls über die Europapolitik diskutiert. Die FDP-Delegierten befürworten einen Rahmenvertrag. Sie verbinden diesen aber mit Voraussetzungen. Die Delegierten verabschiedeten ein Positionspapier und eine Resolution zur Europapolitik.

Parteipräsidentin Petra Gössi erklärt in der NZZ, dass ein zentraler Punkt der Erhalt der Souveränität ist. Ein institutionelles Abkommen, das die dynamische Rechtsübernahme regelt und ein Verfahren zur Streitbeilegung über den gemischten Ausschuss und ein Schiedsgericht kennt, wäre unter dem Strich eine Lösung, die der Schweiz mehr Unabhängigkeit garantierte als die heutige.

Sie fügte an, dass wir unsere Streitigkeiten mit der EU dann immerhin in geregeltem Rahmen austragen könnten, was heute nicht möglich sei. Da die Rechtsübernahme auf der Basis des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erfolgen würde, bliebe auch das für uns Schweizer zentrale Referendumsrecht gewahrt: Die Schweiz kann weiterhin Nein sagen.