Ein (teil)virtuelles Parlament – (k)eine unausweichliche Folge von Corona?

Der Grosse Rat tagte am 11. März 2020 im Rathaus. Zu Beginn bat die Präsidentin Salome Hofer um unbedingte Einhaltung der BAG-Verhaltensregeln. Wenige Tage später war klar, die Pandemie erlaubte kein Verbleiben im Rathaus. Die nächste Sitzung wurde abgesagt, diejenige vom 22. April fand unter Beachtung strenger Vorgaben im Kongresszentrum statt. Den Kommissionen wurde befristet gestattet, vollständig oder teilweise virtuelle Sitzungen abzuhalten. Dies auch für Plenumssitzungen zu ermöglichen, war kein Thema. Die Präsenz während den Sitzungen unter Corona-Bedingungen war sehr gut.

Dass für Pandemien oder vergleichbare Ereignisse permanente Regeln für einen (teil)virtuellen Parlamentsbetrieb zu schaffen sind, wird im Grundsatz unumstritten sein. Kontrovers ist folgendes: Soll bei Pandemien die virtuelle Teilnahme im Plenum möglich und wie weit soll virtuelles Mitwirken im Plenum auch in "normalen" Zeiten gestattet sein?

Wenn bei zukünftigen Pandemien die physische Anwesenheit für viele Parlamentarier unverantwortlich ist, müssen situativ Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Grundlage dafür könnte eine neue entsprechende Bestimmung in unserer Kantonsverfassung sein. Diese geht heute von der physischen Anwesenheit der Mitglieder des Grossen Rates aus.

Will der Grosse Rat auch künftig ein Ort für lebhafte Debatten sein und soll das Parlamentsgeschehen für Medien und Öffentlichkeit im Ratssaal oder im Livestream vollumfänglich verfolgbar sein, dann ist ein (teil)virtueller Plenumsbetrieb nicht anzustreben. Wenn begonnen wird, für den Normalbetrieb festzulegen, wann ausnahmsweise an Plenumsabstimmungen virtuelle Teilnahme möglich ist, werden die Abgrenzungen äusserst schwierig sein: Soll z.B. eine dringende Geschäftsreise auch ein Rechtfertigungsgrund sein? Wird bei (ansteckender/schwerer) Krankheit ein Arztzeugnis benötigt oder reicht Selbstdeklaration? Welche Fristen gelten, kann um acht Uhr ein Gesuch für eine Sitzung, die um neun Uhr beginnt, noch eingereicht werden? Wer entscheidet über Gesuche, die Grossratspräsidentin oder das gesamte Ratsbüro, sind Rekurse an das Plenum (oder sogar an ein Gericht) möglich? Mein persönliches Fazit: Ein Parlament kann auf physische Anwesenheit seiner Mitglieder nicht verzichten, wenn es seine verfassungsmässige Rolle sichtbar wahrnehmen will. Auf gehaltvolle Diskussionen der Frage nach Sinn und Unsinn eines Zoom-Parlaments bin ich gespannt.

David Jenny, Grossrat, Statthalter Amtsjahr 2020/21